ADHS – die „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Ein sperriger Name und von vielen als inkorrekt angesehen. Manche kennen es als das „Zappelphilipp“-Syndrom. Ein obskurer Zustand, der irgendwie nur kleine Jungs befällt und sie dazu bringt, im Klassenzimmer die Wände einzureißen. Doch das bei weitem nicht das ganze Bild. ADHS ist eine neurologische Entwicklungsstörung, sie betrifft Erwachsene ebenso wie Kinder, Mädchen und Frauen ebenso wie Jungs und Männer und diverse Menschen. Und natürlich Autor*Innen. Doch was genau sind Probleme, die damit einhergehen? Und viel wichtiger: Was sind Tipps, die helfen?

Diesen Artikel schreibe ich zwei Stunden bevor wir die Folge aufnehmen. Die Deadline ist lange überschritten, eigentlich hätte alles längst im Kasten sein sollen. Aber wie es so ist, war ich zu spät; zu spät in den Anfragen, zu spät in der Planung, zu spät, zu spät, zu spät. Und jetzt sitze ich hier. Wie ist das möglich?

Manchmal passiert es, dass in meinem Gehirn ein Schalter auf JETZT“ springt und dann fällt es mir unendlich leicht, mich hinzusetzen und etwas zu erledigen. Ich bin von der Couch aufgesprungen, habe meinen Mann mit dem YouTube-Video, das wir eben geschaut haben, alleine gelassen und mich in mein Arbeitszimmer gesetzt.

Manchmal.

Viel öfter jedoch klemmt der Schalter. Entweder auf NICHT JETZT“ oder irgendwo dazwischen. Und ich klemme auf der Couch und in meinen Gedanken und kriege keine Luft und keinen Ton hinaus.

By the way, während der WordPress-Editor geladen hat, habe ich nur kurz“ die Band gegoogelt, die Spotify zufällig gerade abgespielt hat und habe für fünfzehn Minuten vergessen, dass ich diesen Artikel schreiben wollte.

Und jetzt stellt euch mal vor, wie es ist, ein ganzes Buch schreiben zu wollen.

In diesem Artikel will ich ein paar der Herausforderungen umreißen und ein paar Tipps geben. Ich bin keine Psychologin, Psychiaterin oder habe eine vergleichbare Ausbildung ich bin lediglich eine zerstreute Autorin. Wenn du dich in Aspekten dieses Artikels oder der zugehörigen Folge wiederfindest, lade ich dich ein, erst einmal selbst zu recherchieren. (www.adxs.org ist eine gute Anlaufstelle). Oder sprich mit deinem Arzt darüber.

Die gängigsten Herausforderungen von ADHSlern und wie man damit umgeht.

Es gibt den Gedankenansatz, dass ADHS an sich keine Störung“ ist, sondern eine natürliche Variation in der menschlichen Spezies. Der Krankheitsfaktor“ entsteht erst im Austausch mit der Umwelt man eckt an, fällt aus dem Raster, wird kritisiert. Depressionen, Ängste und andere Begleitstörungen sind die Folge.

ADHS ist ein Spektrum und jeder Mensch liegt darauf. So wie jeder Mensch eine Körpergröße hat, liegt jeder auch auf der ADHS Messlatte. Sie reicht von völlig Symptomfrei bis hin zu Ausprägungen, die so schwer sind, dass es den Betroffenen unmöglich ist, ihren eigenen Alltag zu meisten. In der Regel wird die Diagnose an dem Punkt gestellt, wo der Leidensdruck für die Person zu groß wird.

Du siehst es vielleicht schon: ADHS ist sehr individuell. Die Erfahrungen, die man macht, sind oft subjektiv. Und sie werden oft nicht ernst genommen, da sie nicht fremd“ genug sind. Menschen haben oft Probleme damit, eine Grenze zu erkennen, wenn sie nur graduell existiert. Jeder von uns ist gelegentlich zerstreut, vergesslich, schusselig, impulsiv und hat Tage, an denen er nichts auf die Reihe bekommt. Gelegentlich. Für ADHSler ist das Alltag.

Die gute Nachricht: Weil jede Autorin mal“ mit diesen Problemen zu kämpfen hat, kann auch jede Autorin von diesen Tipps profitieren.

Welche Herausforderungen sind das nun genau? Hier eine Auswahl.

1. Motivationsprobleme

Menschen, die weit oben auf dem ADHS-Spektrum liegen, haben ein interessengesteuertes Motivationssystem. Es stimmt nicht, dass wir uns nicht motivieren oder konzentrieren können wir sind nur wesentlich mehr abhängig davon, unsere Arbeit zu mögen oder einen Sinn in ihr zu sehen, um sie tun zu können. Das hat etwas mit verschiedenen Botenstoffen (z.B. Dopamin) und Funktionsweisen im Gehirn zu tun.

In einem Podcast habe ich mal jemanden sagen hören, dass ADHS uns mehr dazu zwingt, wir selbst zu sein. Weil wir mehr noch als andere eine intrinsische Motivation brauchen, um Dinge zu erledigen. Das finde ich eine schöne Betrachtungsweise.

Doch was macht man, wenn man eine Deadline hat und sich einfach nicht zum Schreiben motivieren kann? Die eigene Geschichte ist nicht mehr frisch und shiny und wir würden uns fiel lieber etwas Neuem zuwenden, das noch spannend und aufregend ist.

  • Einen Timer stellen Dringlichkeit ist ein sehr zuverlässiger Auslöser für Dopamin. Wir arbeiten gut unter Druck. Stellt man einen Timer auf 25 Minuten schafft das eine künstliche Deadline, die ordnend auf unsere Gedanken wirkt und uns anspornt. (Siehe auch: Pomodoro Technik)
  • Das Gehirn anderweitig stimulieren Das ADHS Gehirn ist chronisch unterstimuliert. Deswegen fällt es uns schwer, uns zu motivieren. Man kann verschiedene Dinge nutzen, um die Maschine in Gang zu bringen: Lieblingsmusik hören, Sport, eine kleine Haushaltssache erledigen, zehn Minuten Videospiele und dann die Dopaminwelle ins Schreiben hineinreiten. Wichtig: Man sollte sich eine Erinnerung im Handy machen, damit man nicht vergisst, dass man schreiben wollte…
  • Aufgaben definieren und runterbrechen Oft haben wir Motivationsschwierigkeiten, weil wir überfordert sind. Es fällt uns schwer, Aufgaben im Kopf zu sortieren, priorisieren und Schritt für Schritt bis zur Erledigung zu erfolgen. Die Belohnung ist zu weit weg und damit abstrakt. Deswegen hilft es, die Aufgabe klar zu definieren (SMART Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch und Terminiert) und in kleine Teilaufgaben einzuteilen. Dann kann man sich auf eine Sache konzentrieren, ohne das ganze Projekt vor Augen zu haben.

2. Impulsivität

Was ist das? Ein neuer Nebencharakter? Spannend. Ich wollte heute eigentlich nur meine tausend Wörter in diesem Kapitel schreiben, damit ich mit dem Plot vorankomme. Hier steht es, auf meinem Whiteboard Fokus: Plot!!! (Ausrufezeichen).

Zeit einen zwanzigseitigen Charakterbogen für diesen Nebencharakter zu erstellen. Und eine Übersicht all der Orte, an denen er je war. Samt der ganzen Geschichte, die dort je passiert ist und jedem Zigarettenstummel, den jemand dort hingeworfen hat. Und dessen Charakterbogen.

Was? Es ist drei Uhr morgens, ich bin ausgelaugt, hungrig und mein Ziel ist nicht erreicht?

Damn.

Wir ADHSler neigen dazu, dem weißen Kaninchen in den Bau zu folgen, wann immer es uns über den Weg läuft. Das führt dazu, dass wir oft von unserem Weg abkommen. Was hilft?

  • Einen Timer stellen Ja, der Timer ist des ADHSlers bester Freund. Es ist nicht verkehrt, Impulsen nachzugehen. Oft führt das zu spannenden Ideen und neuen Dingen. Doch ehe wir es uns erlauben sollten wir einen Timer stellen und diesen ans andere Ende des Zimmers legen, sodass wir gezwungen sind, aufzustehen und liegenzulassen, worin wir uns vertieft haben. Danach kehren wir zu dem zurück, was wir eigentlich tun wollten.
  • Ideen-Parkplatz Gemeint ist eine Station für alle Ideen. Ein leerer Block, ein Notizbuch, einen einfachen Zettel neben den Laptop legen und alles, was sich zwischendurch aufdrängt, dort schnell notieren. So geht man dem Impuls nach, kann schnell wieder zum Wesentlichen zurückkehren, die neue Idee ist aus dem Kopf raus und man kann später noch einmal darauf zurückgreifen.
  • Die neue Idee planen Es hilft, bei der Aufgabe zu bleiben, bei der man grade ist. Wenn eine neue Idee, ein Plotbunny, ein Impuls sich aufdrängt, blockt euch einen Termin die nächsten Tage exklusiv für diese Idee. Auch damit bekommt ihr den Kopf frei.

3. Überforderung

Als ADHSler fällt es einem schwer, abstrakte Aufgaben im Kopf herunterzubrechen, aufzuteilen, zu priorisieren und dann Stück für Stück abzuarbeiten. All das fordert die exekutiven Funktionen des Gehirns und gerade die lassen uns gerne mal im Stich. Deswegen fühlen wir uns schnell überfordert von zu vielen Aufgaben, Verpflichtungen und Ideen: alles ist gleich laut und gleich wichtig und wir sehen auf Anhieb keinen Punkt, wo wir anfangen können, das Gewirr aufzuräumen. Was tun?

  • Projektmanagement Es lohnt sich, sich mit Grundlagen des Projektmanagements auseinanderzusetzen. Im Grunde hilft es schon, Dinge erst einmal aufzuschreiben. Auf dem Papier sehen wir vieles klarer. Also erst einmal Bestandsaufnahme machen: Was muss getan werden? Was ist das finale Ziel? Welche Infos fehlen mir noch, welche Ressourcen fehlen mir noch, welche klar definierten Schritte beinhaltet diese Aufgabe? Oft ergibt sich hierbei eine klare Struktur, der man im Anschluss folgen kann.
  • Pausen Der Gedankensud kocht manchmal über. Noch ehe das passiert sollte man eine Pause machen. Und damit meine ich nicht nur, vom Schreibtisch aufstehen und sich zwingen, irgendeine der anderen fünfzig Dinge zu tun, die liegengeblieben sind (Haushalt, I am looking at you). Spazieren gehen, eine Runde zocken, lesen, Sport, tanzen, meditieren was immer einem persönlich hilft, abzuschalten. Ein Tipp: Konventionelle Entspannungsmethoden funktionieren oftmals nicht für ADHSler. Ruhig sitzen und „sich entspannen“ ist manchmal nicht unser Stil. Wenn unser Gehirn gerade Lust hat, den Kühlschrank auszuräumen und tiefenzureinigen dann ist vielleicht genau das die Sache, die uns entspannt.
  • Austausch mit anderen Im Gespräch mit anderen kristallisieren sich häufig Tendenzen aus unserem Gedankenchaos heraus, die wir vorher nicht gesehen haben. Dazu muss das Gegenüber nicht einmal etwas sagen oft hilft es schon, die Dinge in Worte zu fassen, um sie klarer zu sehen. Und positive Interaktionen sind eine gute Dopaminquelle.

Natürlich ist das keine erschöpfende Liste. ADHS ist vielseitig und individuell womit der eine zu kämpfen hat, hat die andere kein Problem. Doch wenn es einen Tipp gab, der geholfen hat, ist das schon sehr viel wert.

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