Guido Graf ist 1966 in Hildesheim geboren, hat Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft studiert. Heute arbeitet er an der Universität Hildesheim, wo er verschiedene Rollen innehat. Unter anderem ist er Senior Researcher am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft, sitzt im Prüfungsausschuss für den Master Literarisches Schreiben und hat das Forschungsprojekt Rez@Kultur begleitet, das 2021 zu Ende ging.

„Du hast ja Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft studiert. Was hat dich damals zu diesen Studiengängen bewogen?“

„Der Klassiker. Ich habe in der Schule Deutsch gerne gemacht, ich habe viel gelesen. Und es war relativ schnell klar: Ich will irgendwas mit Literatur machen. Das Kuriose war dann, dass ich tatsächlich gar nicht Literaturwissenschaft im Hauptfach, sondern nur im Nebenfach studiert habe. Im Hauptfach habe ich germanistische Linguistik studiert. Ich weiß nicht mehr, warum, aber ich fands total gut. Mir hat das sehr viel Spaß gemacht. Es hat eine gewisse theoretische Beschäftigung mit Dingen der Literatur und der Sprache sehr befeuert und mich auch ein bisschen aus der klassischen Germanistik rausgehalten. Sodass ich nicht mit beiden Beinen voll drinstand, sondern einen etwas anderen Blick draufgeworfen habe.“

„Und was hast du gerne gelesen?“

„Was man in dem Alter, so in der späteren Pubertät, liest. Beziehungsweise gab es da auch bei mir so Sachen, an die ich mit so einem typischen jung-männlichen Größenwahn rangegangen bin, die ich nicht verstanden habe. Ich habe mir mit fünfzehn oder sechzehn mir die Jahrestage von Uwe Johnson ausgeliehen aus der Bücherei und dachte: vier Bände? Sieht super aus. Ich konnte damit überhaupt nichts anfangen, aber ich habe mich cool gefühlt. Es gab nur blöderweise kaum jemanden, den ich damit hätte beeindrucken können. Genauso habe ich dann angefangen den Ulysses von James Joyce zu lesen. Fand den Anfang ganz toll, bin aber über die ersten Seiten damals nicht rausgekommen. Dann habe ich angefangen Arno Schmidt zu lesen. Davon bin ich dann ziemlich angefixt gewesen und habe mich damit auch lange Jahre beschäftigt. Es hat ein bisschen Mühe gekostet, da auch wieder rauszukommen. Ich habe schließlich auch noch meine Dissertation über Arno Schmidt geschrieben.“

„Hattest du das Gefühl während deines Studiums, dass du so ein bisschen die Lust am Lesen verloren hast oder ist das eher mehr geworden?“

„Nee, verloren habe ich die nie. Bis heute eigentlich nicht. Was sicherlich auch mit dem Privileg zu tun hat, dass ich mich später dann beruflich damit beschäftigen konnte, wozu ich Lust hatte. Und noch mehr eigentlich durch die Arbeit am Literaturinstitut Hildesheim, wo ich einfach mit jungen Leuten zu tun habe, die etwas Neues schreiben. Dass ich das begleiten kann, was da an neuen Sachen entsteht. Das ist nochmal eine andere Nummer, als wenn man auf die Suche geht und versucht, so wie ich es früher auch viel gemacht habe, nach Texten zu suchen, die ich noch nicht kenne. Also eher aus einer literaturkritischen Perspektive, was ich auch lange Jahre beruflich gemacht habe als freier Journalist. Aber es ist dann nochmal was Anderes, literarische Texte im Entstehen zu begleiten und zu beobachten. Und auch sowas wie Geburtshelfer dabei spielen zu dürfen.“

„Das war sicher auch ein Sprung, wenn man zuerst Literaturkritik gewohnt ist, wo man am fertigen Werk die Kritik ausübt, und dann hingeht zur Begleitung. Ich kann mir vorstellen, dass man sich da erst einmal ein wenig zurückfahren muss oder andere Ansprüche entwickelt, oder?“

„Ja, natürlich entwickelt sich da etwas. Für mich war das nie eine Frage der Ausschließlichkeit. Sowohl in der Sache wie auch ganz pragmatisch gesehen. Allein davon, dass man Literaturkritiken schreibt, konnte man auch damals in den 90er Jahren, wo ich das exzessiv gemacht habe, nicht leben. Da kam immer andere Tätigkeiten hinzu, wie zum Beispiel, dass ich freies Lektorat gemacht habe. Und das ist dann schon eine Perspektive auf Texte, die der durchaus ähnlich ist, wie wir sie in Hildesheim mit den Studierenden praktizieren.“

„Schreibst du auch selbst?“

„Keine Romane oder dergleichen. Ich habe in einem früheren Leben auch Lyrik geschrieben, aber das ist definitiv vorbei. Ich schreibe natürlich, ich schreibe Essays, ich schreibe nach wie vor Rezensionen für den Deutschlandfunk und schreibe wissenschaftliche Sachen.“

„Also das selbst literarisch-schöpferische Tätigwerden reizt dich heute nicht mehr so?“

„Ich habe nicht den Ehrgeiz, den großen Roman zu schreiben oder so. Dass ich denke, wenn ich irgendwann in Rente bin, dann haue ich aber jetzt dann den ultimativen Roman raus oder so. Nee. Das reizt mich überhaupt nicht. Die Sachen, die ich schreibe, bewegen sich auf der anderen Seite aber auch nicht so eng in rein wissenschaftlichen Gefilden. Auch dem bin ich relativ fremd geworden. Aus unterschiedlichen Gründen. Gut, es hat sich auch in der Literaturwissenschaft und auch in der Germanistik viel getan, da ist viel in Bewegung geraten, aber es gibt nach wie vor immer auch eine Art von Wissenschaft, die ich, wenn man sowas wie Lust empfindet in der Auseinandersetzung mit dem Schreiben und auch mit dem Lesen, ziemlich abturnend finde.“


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